Emilio, überfahren im November 2011, gelähmt und schwer verletzt, gesundet 2012.

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    Emilio hat das Wort...
    Ihr Menschen seid doch schon sehr seltsame Geschöpfe...
    Auf der einen Seite überfahrt ihr mich...


    Ihr lasst mich völlig unbeachtet am Straßenrand liegen, obwohl ich so laut um Hilfe geschrien habe.
    Die ganze Nacht habe ich nach meinen Katzeneltern gerufen, die suchen mich doch bestimmt!
    Warum kann ich eigentlich nicht aufstehen und meine Beine bewegen? Wisst ihr, warum mir mein
    Kopf und mein Mäulchen so schmerzen? Das liegt bestimmt an den zersplitterten Reißzähnen, die
    sich tief in meine Wangen graben.


    Es tut mir alles sooo weh...!!! Wieso hilft mir denn niemand??? Jetzt liege ich schon ganz lange
    hier, ich bin schon ganz steif und schläfrig. Wenn ich jetzt einfach so meinen Kopf hinlege, geht es
    bestimmt ganz schnell. Müde genug bin ich ja, und viel Hoffnung habe ich auch nicht mehr, meine
    Stimme ist fast weg. Ganz weit entfernt höre ich ein Geräusch.
    War da eine Stimme? Benommen hebe ich den Kopf und lausche dem warmherzigen Klang, der mir
    sagt, dass jetzt alles gut wird. Eine Frau nimmt mich auf den Arm, ich denke noch: “Oh, nein, ich
    mache sie ganz schmutzig!“ Offensichtlich macht der netten Dame das nichts aus, denn sie spricht
    ganz lieb mit mir. Ich fühle mich wieder ein wenig besser, bin ganz ruhig und lausche der Stimme,
    die Hilfe verspricht. Nach einer ganz kurzen Weile werde ich bei Menschen abgegeben, die sich
    sofort um mich kümmern.


    Ob die wohl wissen, wie man dieses Ding in meinem Nacken abliest? - Sie wissen es, ich höre
    meine Katzeneltern! Warum klingen die denn so komisch? Die weinen doch nicht etwa? Ich glaube,
    ich kann sie riechen, da kommen sie, und jetzt weiß ich, dass alles gut wird.
    Emilio ist am 17.01.2010 geboren. Wir haben ihn von einer sehr netten Züchterin gekauft. Er hatte
    damals schon eine Behinderung, sein linkes Auge ist erblindet, das hat ihn und uns nie gestört. Wir
    haben uns ganz bewusst für einen Handicapkater entschieden.


    Donnerstag 25.11.2012
    Der Tag begann völlig bedeutungslos. Ich fütterte mein Katzenrudel, und nichts wies auf das
    einschneidende Erlebnis hin, das unser Leben völlig durcheinander wirbeln würde.
    Emilio, mein kleiner Nimmersatt, ging seiner Lieblingsbeschäftigung nach: „Wie kann ich am
    schnellsten alle Näpfchen leerräumen, ohne dass die anderen Pelzgesichter dazwischen funken?“
    Diesen Sport betreibt er mit Hingabe, daher wurde ich schon leicht unruhig, als er zur nächsten
    Fütterung nicht auftauchte. Selbst Lockrufen, die er sonst immer befolgt (gibt ja auch ein
    besonderes Leckerchen), widerstand er. Als er auch abends nicht nach Hause kam, ließ unsere tiefe,
    innige Bindung mich spüren, dass etwas ganz Grässliches passiert sein musste.
    Kennt Ihr dieses subtile, unbestimmte Gefühl, das in einem bohrt und Magenschmerzen verursacht?
    Gedanken verselbstständigen sich, Erlebnisse und kleine Anekdoten mit unserer Fellnase kamen
    mir in den Sinn. Quälende Bilder tauchten vor meinem inneren Auge auf. Emilio, hilflos im
    Straßengraben liegend, mein Kater, der in einem Käfig eins Tierfängers sitzt und laut weint, weil er
    intuitiv weiß, dass er Furchtbares durchleben wird. Nein, das darf einfach nicht sein, wir machten
    uns auf den Weg.


    Unsere ausgiebige Suche verlief ergebnislos und die folgende Nacht ohne einen Moment Schlaf.
    Der Anruf von Tasso kam daher nicht unerwartet. Ich habe Emilio bei der Kastration chippen
    lassen. Die erstversorgenden Tierärzte haben den Chip ausgelesen, Tasso informiert und meinen
    Rückruf erbeten.Spätestens in diesem Augenblick verknotete sich mein Magen zu einem
    unförmigen Etwas, die Gesichtszüge entgleisten mir und ich wurde aschfahl.
    Etwas zu ahnen oder es definitiv zu wissen, sind zwei Paar Schuhe. Im ersten Fall hofft man noch
    auf ein Versehen, auf eine andere Möglichkeit, wie in der Garage des Nachbarn eingeschlossen zu
    sein. Ich erinnere mich an eine Situation. Emilio blieb auch über Mittag weg, am Abend war er
    immer noch nicht zu Hause, ich lief durch unseren Garten und rief ihn laut. Bis zum Gartenhaus des
    Nachbarn. Auf mein Rufen erfolgt eine Antwort, ich öffnete die Türe und Emilio reckte und streckte
    sich, maunzte kurz und sah mich an mit den Worten. „Das wurde aber auch Zeit, hättest Du nicht
    eher kommen können“, im Blick, ein Gähnen unterstrich seine komische Mimik.
    Im zweiten Fall fühlt sich das einfach nur schrecklich an.


    Mein Mann hinterfragte gar nichts, sondern sagte:“Ich hole das Auto, nimm dein Handy mit, du
    kannst auf dem Weg mit der Praxis telefonieren.“ Während des Telefonates versuchte mir die
    behandelnde Ärztin einfühlsam mitzuteilen, dass mein Kater schwer verletzt abgegeben worden sei.
    Offensichtlich habe ein Auto ihn überfahren und es sähe gar nicht gut aus, ich solle mich auf das
    Schlimmste einstellen. Obwohl mir augenblicklich das Blut in die untere Körperregion sackte, ich
    anfing Rotz und Wasser zu heulen, wollte ich wissen, welche Verletzungen er genau hat. In meinem
    Kopf tauchten unwillkürlich furchtbare Bilder auf. Von überfahrenen Katzen, die blutverschmiert,
    mit zerschmetterten Gliedern einfach so daliegen. Worte wie Lähmung, keinerlei Schmerzreflexe,
    Dehydrierung und Unterkühlung fielen. In dem Moment dachte ich gar nichts mehr.
    Wenige Minuten später trafen wir in der Praxis ein. Als man uns sofort in ein Behandlungszimmer
    führte, obwohl das Wartezimmer überfüllt war, ahnte ich schon, was für ein schlimmer Anblick
    mich erwarten würde. Da lag er, ein kleines Häufchen Elend, völlig zerzaust und erschöpft. Ich
    dachte noch: „Sieht doch gar nicht so schlimm aus, keine zerquetschten Gliedmaßen, und wo ist das
    Blut?“ Ich näherte mich vorsichtig und sprach ihn an. „Hey, mein Junge, was machst Du nur für
    Sachen?“. Er hob mühsam den Kopf. Erst da sah ich das ganze furchtbare Ausmaß. Der Mund war
    verformt, das Fell unterm Kinn eingerissen, die Zähne im Mäulchen zersplittert. Der mitleidige
    Blick der Tierärztin Frau Dr. Hellmann sprach Bände.


    Emilios Hinterläufe und der linke Vorderlauf wiesen eine Parese (Lähmung) auf. Zum Test der
    Schmerzreflexe wurde Emilio im Bereich der Lähmungen vorsichtig mit einer Nadel gepiekt und
    mit einer medizinischen Zange angefasst – er schien es leider überhaupt nicht zu spüren!



    Aus Emilios Sicht
    Erleichtert höre ich eine vertraute Stimme, die sich langsam nähert. Schnurr, diese streichelnde,
    liebkosende Hand, die mich federleicht berührt, würde ich aus Hunderten erkennen.
    Endlich… endlich kann ich mich fallen lassen und ausruhen.
    Mit einem Ohr höre ich den Zweibeinern zu, ein wenig aufgeregt hören sie sich ja schon an.
    Einschläfern? Was heißt denn das? Schlafen mag ich im Moment aber gar nicht. Ich höre Schritte,
    die sich nähern. Was passiert denn jetzt, wieso werde ich weggetragen, und weshalb geht mein
    Frauchen nicht mit??? Mein Herz hämmert. Nein, bitte lass' mich nicht alleine, ich habe doch
    solche Angst!!! Der dunkle Raum riecht aber gar nicht gut. Ich höre ein Summen und Klicken, das
    hört sich fast an wie dieses Blitzdings zu Hause, das Zweibeiner immer lächeln lässt. Jemand sagt:
    „So, Emilio, wir sind fertig, gleich bist du wieder bei deinem Frauchen.“ Vor lauter Aufregung
    hechle ich, hoffentlich tropfe ich nicht alles voll. Da, da sind sie!


    Normalerweise würde ich jetzt lostrippeln, um ganz schnell bei meinen Menschen zu sein.
    Irgendwie geht das nicht. Obwohl ich mich bemühe, kann ich meine Beine nicht bewegen. Selbst
    beim Ablegen auf die wunderbar weiche, warme Decke kann ich nicht helfen. Nun ja, so ist es eben.
    Aber die Hauptsache ist, dass ich wieder bei meinen Katzeneltern bin. Selbst der kleine Pieks und
    das seltsame, lange Ding in meinem Arm stören mich nicht mehr.. Meine Menschen sind ganz nah,
    ich kann sie riechen und spüren, sie lassen mich bestimmt nicht mehr los...
    Unter meinem vorsichtigen Streicheln beruhigte sich Emilios Atmung, er schnurrte (obwohl Katzen
    auch unter enormen Schmerzen schnurren) und versuchte zu köpfeln.


    Für unsere Entscheidung nahmen wir uns Zeit, Emilio schaute mich an, als wolle er sagen: „Mach
    nur, du entscheidest schon richtig, und ich werde mit allem einverstanden sein.“. Möglicherweise
    hat mich dieses Vertrauen auf mein Gefühl hören lassen. Sicher hatte ich auch in diesem Moment
    Zweifel. Fragen flogen durch meinen Kopf.


    Wie soll ein stolzer Freigänger mit drei gelähmten Gliedmaßen leben?
    Wie kann er sich fortbewegen? Würde er im Rudel mit seiner Erkrankung einen festen Platz und
    die so dringend notwendige Akzeptanz finden?
    Wer einen Kampf gar nicht erst antritt, weiß doch gar nicht, ob er ihn möglicherweise gewonnen
    hätte. Klar, die Aussicht war denkbar schlecht, dennoch stand meine Entscheidung fest.. Fragend
    blickte ich meinen Mann an, der sagte: „Wenn du das durchziehst, stehe ich hinter dir“.
    Für die Tierärztin war die Information eindeutig. Die Behandlung begann sofort mit dem Röntgen,
    dem Anlegen einer Infusion und dem Lagern auf einem Wärmebett. Die Tierärztin besprach mit uns
    die weitere Vorgehensweise. Eine Behandlung durch eine Spezialistin für Wirbelsäulenschäden war
    notwendig, die Tierärztin stellte den Kontakt zu Frau Dr. Sylvia Kinzel in Aachen her. Obwohl es
    ein Freitag war, kurz vor dem Wochenende, und eigentlich bei Dr. Kinzel keine Sprechstunde
    vorgesehen war, durften wir Emilio dort vorstellen.


    In Aachen angelangt, fühlten wir uns augenblicklich gut aufgehoben. Den überaus menschlichen
    Umgang mit meinem Emilio kannte ich nur von meiner Haustierärztin, Frau Dr. Martina
    Schullenberg, ich hätte nicht gedacht, dass auch andere Tierärzte so einfühlsam sein können. Dr.
    Kinzel und Herr Dr. Alexander Schumacher sprachen Emilio auf sehr eindrucksvolle Weise direkt
    an, untersuchten und behandelten ihn wie ein verletztes Kind.
    Dr. Kinzel stellte ihr enormes Fachwissen sofort unter Beweis. Eine kurze Untersuchung beider
    Augen veranlasste sie, die weitere Untersuchung sofort einzustellen.


    Schweres Schädel-Hirn-Trauma...
    „Ihr Kater braucht jetzt Ruhe, absolut keinen Stress, Dunkelheit und ständige Beaufsichtigung.
    Hoffentlich überlebt er das Wochenende, es sieht gar nicht gut aus!“.


    Zur Unterstützung bekam Emilio noch einige Medikamente.
    Nachdem Dr. Kinzel sich vergewissert hatte, dass eine ärztliche Betreuung für das Wochenende
    gesichert war, Fr. Dr. Schullenberg würde uns begleiten, entließ sie uns mit Hoffnung und guten
    Wünschen.


    Im Rückblick muss ich feststellen, dass ich eine verdammt coole Haustierärztin (Dr. Schullenberg)
    habe, die ihren Beruf auch als Berufung sieht und sofort alles in die Wege geleitet hat, um Emilio
    bestmöglichst zu versorgen. Auch, wenn das hieß, dass sie uns nach ihrer regulären Sprechstunden
    und auch am Sonntag aufsuchen musste. Für den Notfall hinterließ sie uns ihre private
    Telefonnummer, unter der sie auch Nachts für uns erreichbar war.
    Auf dem Heimweg machte ich mir keinerlei Gedanken über die Zukunft, was uns erwartet, wie
    alles ausgeht. In dem Gedanken, kleine Schritte führen ans Ziel, ließ ich das Alles auf mich
    zukommen. Zudem überwog in diesem Moment die Freude, mein geliebtes Pelzgesicht Emilio
    wieder im Arm zu halten.


    Zu Hause


    Aus Emilo`s Sicht
    Ich höre ein Klicken und Schließen. Endlich bin ich zu Hause, der Duft meiner Freunde ist
    unverkennbar. Ob sie mich wohl noch mögen?
    Im Moment fühle ich mich nicht gerade gut und glaube, ich rieche auch ein wenig. Was höre ich
    da? Die Welpen der Zweibeiner. Die sind so leise, dass ich sie fast gar nicht wahrnehme, sehr
    merkwürdig.
    Ich werde ins Wohnzimmer gebracht, wie schön, hier ist es warm und ich bin ganz nah bei meiner
    Familie. Wo ich wohl schlafen darf? Ich fühle mich schwach und bin unsagbar müde. Mein Körper
    tut weh und meine Augen sind auch ganz komisch. Mit dem Gucken, das klappt ja gar nicht richtig,
    wer hat mir denn da einen Schleier auf das Gesicht gelegt?


    Es raschelt und ruckelt. Das hört sich an, als würde etwas über den Boden geschoben. Plötzlich
    spüre ich die zarten Hände meines Zweibeiners. Ganz vorsichtig hebt sie mich an und trägt mich zu
    dem weichen Sofa, auf dem ich sonst auch gerne liege. Viele weiche Tücher liegen unter mir, das
    fühlt sich gut an, mir fallen die Augen zu.


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    Zu Hause angelangt stellte sich mir die Frage, wo ich Emilio am besten unterbringen kann, so dass
    er bequem liegt und ich ihn ständig in meiner Nähe haben kann, ohne andere Familienmitglieder zu
    stören. Das Wohnzimmer bot sich geradezu an.
    Zentral gelegen und Mittelpunkt des Geschehens, so dass der soziale Kontakt zu Zwei- und
    Vierbeinern jederzeit gewährleistet war. Eine vollständige Isolation wäre für eine erfolgreiche
    Genesung Emilios nicht hilfreich gewesen, da Emilio immer fester Bezugspunkt seines Rudels war .
    Zudem war es sinnvoll, seine kätzische Familie, auf die veränderte Situation aufmerksam zu
    machen, denn ihre Reaktion auf das schwerverletzte Familienmitglied war sehr wichtig.
    Unsere Couchgarnitur sollte die passende Lösung sein. Man konnte sie problemlos so
    zusammenstellen, dass eine große Liegefläche entstand. Die Lehnen sorgten dafür, dass sich Emilio
    nur innerhalb eines begrenzten Raumes aufhielt und er bei Bewegungen nicht runter fallen konnte.
    Eine Seite war für Emilio gedacht und die andere für mich. Zum Schutz hatte ich Emilios
    Liegeseite mit einer waschbaren Inkontinenzauflage bedeckt. Darauf legte ich Frotteehandtücher,
    die mit einer Lage Einmalauflagen versehen wurden.



    Jetzt konnten wir gut vorbereitet in unsere erste Nacht starten. Emilio lag in seinem Transportkorb
    und war von den Vorbereitungen völlig unbeeindruckt. Die Erleichterung, sich endlich wieder in
    einer gewohnten Umgebung mit geliebten Lebewesen zu befinden, war ihm deutlich anzumerken.
    Ganz vorsichtig hob ich meinen Kater aus dem Korb und legte ihn auf seinen Platz. Vorab hatte ich
    das Wohnzimmer abgedunkelt, meine Söhne waren vorab über die Situation informiert worden.
    Selten habe ich Teenager gesehen, die so emphatisch reagiert haben. Daniel und Alexander
    bewegten sich äußerst leise durch die Wohnung und verzichteten auf den Besuch von Freunden. Sie
    waren ohnehin durch das leidvolle Jahr 2011 seelisch gezeichnet. Am 06.07.2011 verstarb ihr
    geliebter Großvater. Der Mensch, der ihr Leben entscheidend mit geprägt hatte, der Beiden das
    Laufen beigebracht und die erste Liebe miterlebt hatte. Unsere 13 jährige Hündin Kira folgte Opa
    ein paar Wochen später. Und jetzt, jetzt stand schon wieder ein geliebtes Wesen auf der Schwelle
    zwischen Leben und Tod.


    Wie gesagt, auf der Schwelle. Diesmal hatten wir die Chance einen Kampf zu führen, dessen
    Ergebnis nicht absehbar war. Manchmal fällt der Samen des Schicksals auf fruchtbaren Boden,
    warum sollte Emilio nicht davon profitieren. Wir waren mehr als bereit, mit Emilio diesen schweren
    Weg zu beschreiten. Zunächst war das Wochenende die Hürde, die zu bewältigen war. Emilio
    orientierte sich kurz, schnuffelte noch einmal und fiel dann in einen tiefen, hoffentlich erholsamen
    Schlaf. Nur das gelegentliche Zucken seines Oberkörpers ließ erkennen, dass er unterbewusst
    kämpfte. Was ging wohl in seinem Kopf vor. Ob er das Geschehene noch einmal erlebte, das
    Geräusch des Fahrzeuges, das bleibende Schäden verursachte. Die Angst vor der Nacht ohne
    Menschen und Rudel mit, die Ungewissheit, den nächsten Tag erleben zu dürfen?


    In der Nacht wachte er häufiger auf und erkundigte sich mit leisem Wimmern und Maunzen, ob sein
    Zweibeiner noch in der Nähe ist. Sobald ich meine Hand auf seinen Körper legte, schien er sich
    sofort zu beruhigen und schlief wieder ein. Nach der unruhigen Nacht, in der ich immer wieder
    zwischendurch schaute, ob mein Kater noch atmet, hieß ich den nächsten Morgen willkommen.
    Eine überstandene Nacht bedeutete ja auch einen weiteren Schritt ins Leben zurück!
    Emilio war aufgewacht, die zahlreichen Prellungen sorgten jedoch dafür, dass er nur mühsam den
    Kopf heben konnte. Er schaute mir in die Augen und schien zu fragen: „Wie soll das jetzt mit mir
    weiter gehen?“



    Das magische Zeitfenster


    Mein Wahlspruch gerade in extremen Situationen lautet: „Geduld, Ruhe und Zuversicht ist das
    Fundament, auf dem die Welt erbaut wurde.“ Alternativen gab es nicht, und Aufgeben kam
    überhaupt nicht in Frage!


    Über Nacht hatte Emilio Urin abgesetzt. Leider nicht in der Menge, die hätte sein müssen. Seine
    Blase konnte er offensichtlich nicht steuern, das war ein Punkt, den ich bei Dr. Schullenberg
    ansprechen musste.
    Einen Termin hatten wir ja bereits am Freitag vereinbart. Emilio machte darauf aufmerksam, dass er
    sich in seiner derzeitigen Lage unwohl fühlte. Also entfernte ich die Einmalauflagen, legte neue
    Handtücher auf und machte mir Gedanken, ob er sein Futter annehmen würde. Einen Versuch war
    es wert, da er ja seit Donnerstag nichts mehr zu sich genommen hatte. Ich pürierte sein
    Lieblingsfutter und versetzte es mit 2 Esslöffeln Wasser, da Emilio auch nicht trank. Das
    angebotene Wasser aus dem Napf konnte er nicht aufnehmen, das war wohl zu schmerzhaft. Den
    flachen Teller mit dem Futter-/Wassergemisch stellte ich vor Emilio hin. Er hob den Kopf und
    drehte seinen Oberkörper in Richtung des herrlichen Duftes.


    Nach kurzem Schnuffeln war der Hunger größer als der Schmerz, und man hörte nur ein
    zufriedenes Schmatzen und Schlürfen. Er verschlang das Futter in kürzester Zeit, verständlich,
    wenn man bedenkt, dass er seit seinem Unfall nicht mehr gegessen hatte. Nachdem auch der letzte
    Krümel vom Teller verschwunden war, legte Emilio sich erschöpft zurück und schlief schnell tief
    und fest. Seine äußerst interessierten Freunde hatten ebenfalls den wunderbaren Duft des
    Schinken/Wasser Gemisches aufgenommen. Merkwürdigerweise versuchten sie nicht, an den Teller
    zu gelangen. Können Katzen Situationen erfassen und umsetzen? Für mich sah es fast so aus.
    Für 12:00 Uhr war ein Behandlungstermin mit Dr. Schullenberg in der Praxis vereinbart. Nach der
    ausgiebigen Begrüßung untersuchte „Schulli“ Emilio ganz vorsichtig. Sie zog ihm zwei der
    zersplitterten Zähne, weil sie drohten, die Mundschleimhaut zu verletzen. Nach der Gabe von
    Schmerzmitteln vereinbarten wir einen weiteren Termin für den Abend bei uns zu Hause. Dr.
    Schullenberg hat erkannt, dass weitere Transporte Emilio noch zusätzlich belasten. So lange es
    notwendig war, wollte sie uns zu Hause aufsuchen und die erforderlichen Behandlungen in Emilios
    gewohnter Umgebung durchführen.


    Emilio verschlief den restlichen Tag, und wüsste ich nicht, dass Katzen ohnehin auf leisen Pfoten
    schleichen, hätte ich vermutet, dass der Rest des Rudels über das Laminat geschwebt ist. Ich habe
    keine andere Katze gehört, obwohl die sich sonst schon mal raufen und eigentlich nicht besonders
    leise gehen. Die Redensart: „Der Körper gesundet im Schlaf.“ war auf Emilio uneingeschränkt
    anwendbar.


    Als seine Tierärztin „Schulli“ ihn am Abend liebevoll ansprach, war er schon deutlich
    aufnahmefähiger. Sie untersuchte ihn erneut sehr, sehr behutsam und sprach ganz leise aufmunternd
    mit ihm. Sie ließ sich überhaupt nicht anmerken, wie ernst die Situation für Emilio war.
    Sorge bereitete ihr die prall gefüllte Blase. Emilio konnte seinem Harndrang nicht nachgeben
    beziehungsweise ihn nicht steuern, die Blase hatte als solche ihre Funktion eingestellt und fungierte
    lediglich als Überlauf. Urin wurde in der Blase gesammelt, konnte aber auf natürliche Art und
    Weise nicht abgeführt werden, sondern lief über, sobald die Blase zu voll war. Dr. Schullenberg
    nahm Emilio vorsichtig auf und ging mit ihm zum Spülbecken in der Küche. Sie drückte mit
    schnellen, routinierten Griffen die Blase manuell aus und zeigte mir nebenbei, mit entsprechenden
    Erklärungen, wie das geht. Der Anblick des Urins versetzte mir einen Schock. Blut, ganz viel Blut
    im Urin! Der war nicht mehr gelb oder durchsichtig, sondern vom Farbton her tiefrot. Dr. Schulli
    beruhigte mich und klärte mich auf.


    Nach einem Verkehrsunfall, so wie ihn Emilio erlitten hatte, ist es völlig normal, dass sich Blut im
    Urin sammelt,verletzte Muskeln, Fasern sorgen für eine Rotfärbung des Urins. Laut Röntgenbild
    war die Blase intakt, von daher brauchten wir uns zunächst nicht zu sorgen. Eine intakte Blase, mit
    dem entsprechenden Gefühl dafür, wäre jetzt schon toll gewesen. Da das nun mal in der derzeitigen
    Situation Wunschdenken war, leitete Dr. Schullenberg mich noch praktisch an, was das manuelle
    Entleeren der Blase anbelangt. Sie hat das auch mehrfach versucht, nur war ich nicht in der Lage,
    das vernünftig umzusetzen.


    Jedes Mal, wenn ich versuchte, Emilios Blase auszudrücken, maunzte er. War es Schmerz oder
    mein unbeholfener Handgriff? Ich konnte es nicht beurteilen. Was ich konnte, war, meine
    Unfähigkeit einzugestehen. Dr. Schullenberg sollte am nächsten Tag auch dafür eine Lösung zur
    Hand haben. Am Sonntag legte sie Emilio nach einer örtlichen Betäubung einen Katheter, vernähte
    ihn und verschloss ihn mit einem Drehstopfen. Problem erkannt, Problem gebannt. So ist sie halt
    eben, immer kompetent pragmatisch.


    Sie nahm meine Hand und zeigte mir, unter Führung ihrer Hand, wie sich eine prall gefüllte Blase
    anfühlt (wenn ich das beschreiben müsste, würde ich sagen, wie ein Tennisball, der sich in den
    hinteren Bauchraum verirrt hat). Der Stopfen wurde aufgedreht, die Blase von unten gestützt, von
    oben gedrückt, und schon lief es, immer noch verfärbt, nur heller. Das würde ich wohl jetzt häufiger
    machen. Emilio lag da und ließ den ganzen Vorgang in der ihm eigenen Gelassenheit über sich
    ergehen. Das Abhorchen der Lunge offenbarte keinen guten Befund. Sie hörte sich feucht an. Das
    heißt: neben den normalen Atemgeräuschen hört man ein Knistern oder Rasseln, welches durch
    abgelöste Sekrete oder Ödemflüssigkeit ausgelöst wird. Die Lunge wird dann nur unzureichend
    belüftet, und es droht eine Lungenentzündung.


    Um eine schwerwiegendere Erkrankung zu vermeiden, war es jetzt nötig, meinen Kater regelmäßig
    umzulagern, damit beide Lungenflügel seitengleich belüftet werden. Dr. Schullenberg verabreichte
    Emilio ein Antibiotikum, Cortison und ein Schmerzmittel. So war er für die Nacht gut gerüstet.
    Gedanken mussten wir uns noch über seine mangelnde Verdauung machen. Emilio war seit seinem
    Unfall nicht in der Lage, eigenständig Kot abzusetzen. Durch das Abtasten war ersichtlich, dass der
    Darm gut gefüllt war. Auch das Problem sollte Dr. Schullenberg am nächsten Tag lösen.
    Ich bin so erleichtert, dass wir das Wochenende gut hinter uns gebracht haben. Im Hinterkopf nagte
    immer der Gedanke, dass das schwere Schädel-Hirn-Trauma lebensbedrohlich ist.
    Das Wochenende quasi als unser „Lebenszeit-Fenster“ anzusehen war.


    Emilio hatte sich über Nacht den Katheter gezogen und schaute mich mit einem sehr
    selbstzufriedenen Gesichtsausdruck an. Er schien, durch sein zerstörtes Gebiss lächelnd, zu fragen:
    „Na, habe ich das nicht gut gemacht?“ Trotz des beständigen Austauschens der Auflagen roch es
    extrem nach Katzenurin. Emilio sah vollkommen verunreinigt aus und fühlte sich offensichtlich
    nicht wohl.


    Ein Dilemma! Auf der einen Seite traute ich mich nicht, meinen Kater durch eine Körperreinigung
    zu stressen, auf der anderen Seite zeigte er deutlich sein Unbehagen. Der Mittelweg erschien mir als
    vernünftige Lösung. Mit einem feuchten, warmen Waschlappen reinigte ich die betroffenen Stellen,
    so gut es ging. Ich gestaltete diesen Vorgang für Emilio so angenehm wie möglich und beendete die
    Prozedur mit einem Kügelchen Leberwurst für ihn als Belohnung.
    Da ich in dieser Woche ohnehin noch einen Termin mit Dr. Kinzel vereinbart hatte, sollte sich auch
    für diese Situation eine Lösung finden lassen.


    ---------- Der Einsatz von Windeln war mir zu diesem Zeitpunkt nicht geläufig, und richtig logisch
    denken war nicht möglich.------- Zu diesem Thema kehre ich später zurück.
    Montagabend besuchte Dr. „Schulli“ uns nach ihrer regulären Sprechstunde. Sie hatte für Emilio
    einen Einlauf mitgebracht und führte die Flüssigkeit mit einem dünnen Schlauch, nach einer
    oberflächlichen Betäubung, in den Darm ein. Emilio war wenig begeistert und brachte das auch
    zum Ausdruck. Dr. Schullenberg ließ sich jedoch nicht beeindrucken und sprach beruhigend auf
    meinen Kater ein, der die weitere Untersuchung dann auch kommentarlos über sich ergehen ließ.
    Tapferer, kleiner Kerl!!! Eine andere Problematik war, dass er nicht trinken wollte. Er nahm zwar
    Flüssigkeit über die Nahrung auf, jedoch nicht im ausreichenden Maße. Dr. Schullenberg legte noch
    einmal eine Infusion an und unterstützte seinen Kreislauf mit der zusätzlichen Kochsalzlösung.
    Emilio war schon immer ein ganz besonderer Kater. Wir haben uns ganz bewusst für ihn
    entschieden, weil er eine Behinderung hatte.


    Durch einen Behandlungsfehler im Welpenalter ist ein Auge erblindet, der Glaskörper ist
    ausgelaufen und das Auge äußerlich stark vernarbt. Es sieht nicht schön aus, das hat uns aber nie
    gestört. Außenstehenden fällt die Behinderung auf Fotos und Videos nicht auf, weil Emilio eine
    unglaubliche Ausstrahlung hat. Dieser Kater hat uns bei der ersten Begegnung mit seinem Charme
    um den Finger gewickelt, ich hätte keinen anderen Kater haben wollen. Er war und ist etwas
    Besonderes und hat möglicherweise gerade wegen dieser Behinderung ein anderes Verhältnis zu
    Menschen entwickelt und seine Persönlichkeit durch seine unglaubliche Akzeptanz und
    Gelassenheit bereichert, was für die folgende Physiotherapie äußerst hilfreich war.
    Dr. Schullenberg gehört zu den besonderen Menschen und Ärzten, die trotz einer
    lebensgefährlichen Erkrankung des Patienten ihren Optimismus nie verlieren. Die mit einem
    Lächeln auf den Lippen und einem Witz zur richtigen Zeit moralische Unterstützung gewähren, wo
    andere Ärzte schon lange aufgegeben oder eher menschlich Distanz gehalten hätten. Ohne sie hätten
    wir diese schwierige Zeit, mit dem letztlich guten Ergebnis, sicher nicht so gut überstanden! Daher
    hat sie bei uns einfach diesen unwiderstehlichen Spitznamen weg. Sie ist und bleibt unsere Dr.
    Schulli.


    Dienstag
    Mit einem Gefühl in der Magengrube, das sich am ehesten mit einem schwer verdaulichen Objekt
    beschreiben lässt, machten wir uns auf den Weg in die Tierklinik. Dr. Kinzel hatte einen
    gemeinsamen Termin mit der ebenfalls dort ansässigen Tierärztin Frau Dr. Neumann, die
    gleichzeitig auch als Physiotherapeutin arbeitet, vereinbart.
    Emilio verhielt sich während der Untersuchung sehr gelassen und eher abwartend, so als wolle er
    sagen: „Ihr macht das schon!“. Er ließ die Schmerzreflexuntersuchung ruhig und ohne erkennbaren
    Widerstand über sich ergehen, als wisse er, dass das Ergebnis dieser Untersuchung für ihn
    zukunftsweisend war. Mit einem Hauch von Hoffnung erklärte Dr. Kinzel, dass die Schmerzreflexe
    erkennbar zurückgekehrt seien.


    Zwar verlangsamt, es sei aber ein deutlicher Fortschritt zu letzten Untersuchung erkennbar.
    Lediglich der linke Vorderlauf schien sich nicht den anderen Läufen anpassen zu wollen. Emilio
    hielt seinen linken Vorderlauf permanent nach innen geknickt und war nicht in der Lage, ihn auch
    nur ansatzweise selbstständig zu bewegen. Die Hinterläufe zog er während der
    Schmerzreflexuntersuchung ein wenig an und zeigte damit seinen Fortschritt.
    Eine selbständige Belastung der hinteren Extremitäten war völlig unmöglich. Dr. Neumann, die der
    Untersuchung beiwohnte, überprüfte die regulären Reflexe der Beine, untersuchte die Muskulatur
    und verschaffte sich einen Überblick über den körperlichen Allgemeinzustand. Eine Lähmung der
    Hinterläufe an sich ist ja schon tragisch, aber der Patient kann sich mit den Vorderläufen noch
    fortbewegen. Wenn jedoch drei Beine von der Parese betroffen sind, gestaltet sich eine Behandlung
    mit entsprechenden Genesungsaussichten als sehr schwierig.
    Entsprechend dieser Untersuchungsergebnisse unterhielten wir uns über Emilios Prognose. Dr.
    Kinzel sah die Genesung der Hinterläufe als sehr vielversprechend, jedoch den linken Vorderlauf
    recht kritisch. Dr. Neumann war anderer Meinung. Sie sah die Genesung der Hinterläufe eher
    kritisch, die des Vorderlaufes eher positiv.


    Was nun?
    Wie vermag ich einen vernünftigen Kompromiss zu finden, für ein Lebewesen, das ich liebe und für
    das ich die Verantwortung übernommen habe. Verantwortung heißt aber auch, zum richtigen
    Zeitpunkt loslassen zu können.


    Was würde Emilio wollen, hat er überhaupt ein lebenswertes Leben mit einer Lähmung? Er war
    Freigänger und das Spielen mit seinem Rudel gewohnt. Würde er darauf verzichten können?
    Fragen, die in geballter Form auf einen auftreffen. Entscheidungen, die aktuell und situativ gefällt
    werden mussten, trotz des ganzen Wirbels in meinem Kopf. Da fiel mir der Spruch von Dr.
    Schullenberg wieder ein: „Katzen sind unglaublich, und die schaffen viel mehr, als es im Moment
    den Anschein hat, vertrauen Sie darauf!“. Zeit... - Zeit schien mir eine annehmbare Lösung, eine
    Entscheidung konnte ich immer noch treffen.


    Es kostet doch nur Zeit! Im Gegensatz dazu, was könnte ich unwiederbringlich verlieren?...
    Emilio... ein Leben! Als auch noch Dr. Kinzel von ihrer gelähmten Katze berichtete, war ich mir
    sicher. -------Zeit halt----


    Wir wechselten in das Sprechzimmer von Dr. Neumann, wo sie einen individuellen
    Behandlungsplan für Emilio erstellte. In schriftlicher Form lag er nun vor, und Dr. Neumann
    verfolgte den Lehransatz: „Learning by doing“.
    Sie erklärte mir die einzelnen Übungen anhand vom praktischen Beispiel an Emilio. Sie machte vor
    und ich unter Anleitung und Korrektur nach. Fragen wurden intensiv besprochen, kleine
    Schwierigkeiten durch Alternativen beseitigt. Nach einer Stunde Praxis fühlte ich mich soweit
    unterrichtet, die Übungen zu Hause alleine gut anwenden zu können. Da Dr. Neumann der
    hygienische Zustand von Emilio selbstverständlich aufgefallen war, stellte sie mir die Luna-Seite
    vor.


    Luna, eine Zeit ihres Lebens gelähmte, inkontinente Katze, hat mit der Unterstützung ihrer Dosi (so
    nennt man einen zweibeinigen Katzenbesitzer) jahrelang mit ihrer Behinderung gut und sehr
    lebensfroh gelebt. Lunas Frauchen hatte sich mit dem Thema „Inkontinenz bei Katzen“ intensiv
    auseinander gesetzt und eine gut umsetzbare Lösung gefunden, die sie im Internet veröffentlicht
    hat. Von diesen Ergebnissen konnten nun auch wir profitieren.


    Ein Kater und Windeln
    Frau Dr. Neumann hatte uns die Anleitung für das Windeln von Katzen ausgedruckt und
    ausdrücklich erklärt, dass ein Wundsein durch ständigen Urinflußss unbedingt vermieden werden
    müsse,um weitere Erkrankungen zu vermeiden.
    Mit neuen Aufgaben im Gepäck verließen wir die Praxis, kauften Windeln und Einmalauflagen ein.
    Ob Emilio, der stolze Kater, sich wohl Windeln anlegen lassen würde?
    Schriebe ich jetzt, dass das völlig problemlos vonstatten ging, müsste ich lügen.
    Im Nachhinein stelle ich mir die Frage, wer mit wem mehr Geduld hatte. Emilio schien meine
    Aufregung zu spüren, meine anfängliche Ungeschicklichkeit sicher. Es dauerte schon ein wenig, bis
    meine Bewegungen routinierter und für Emilio auch einfacher wurden. Nach und nach optimierte
    sich unser System. Mit viel Übung fand sich auch die richtige Anpassung der Windel für Emilios
    Körper. Anfangs wickelte ich ihn auf seinem Bett, um unnötige Bewegungen und Stress für ihn zu
    vermeiden. Sein Rudel ließ ihn völlig außer Acht. Beruhte diese bewusste Ignoranz nun auf der
    Tatsache, dass Emilio sich zwischen Tod und Leben befand und das Rudel diesen Umstand
    wahrgenommen hat? Ich denke schon, denn mit der Zeit änderte sich das Verhalten, dazu später
    mehr.


    Teil 2 im Anschluss

  • Durch das Wickeln gestaltete sich unser Tagesablauf völlig anders. Auflagen waren nach wie vor
    nötig, aber das häufige Waschen der Handtücher und Decken (vier Mal am Tag) entfiel und wich
    dem normalen Rhythmus. Emilio, der auf seinem Krankenlager etwa 1 m² zur Verfügung hatte,
    wurde täglich wacher und aufmerksamer. Die Wunde am Kinn heilte gut, es zeigte sich schon
    Schorf. Nachts schlief mein Kater immer noch sehr unruhig und suchte den Körperkontakt. In
    meiner Angst, ihn zu verletzen, hatte ich auf der Schnittstelle beider Sofas eine Barriere errichtet,
    die ihm zwar ermöglichte, mich zu sehen und mir die Möglichkeit ließ, meine Hand an seinen
    Körper zu legen, ihn aber davon abhielt, sich zu mir rüber zu robben. Morgens stellte ich dann fest,
    dass Emilio sich in der Nacht bis zur Erhöhung geschleppt und eine Pfote darauf gelegt hatte. In
    Bewegung war er jetzt schon, mühsam, aber Hauptsache: in Bewegung!



    Das Ritual
    Unser tägliches Ritual sah nun folgendermaßen aus:
    Wir standen um 05:00 Uhr auf. Dann nahm ich meinen Kater auf den Arm, ging mit ihm in die
    Küche und legte ihn auf der mit einem Handtuch vorbereiteten Spülfläche ab. Sein Rücken zeigte zu
    mir und mit dem rechten Arm umfing ich seinen Körper.


    Emilio legte nach einer gewissen Zeit seinen Kopf in meine Armbeuge. Sein Po wurde so platziert,
    dass er ein klein wenig über den Spülbeckenrand hinausragte. Dann wusch ich mit warmem Wasser
    und Katzenshampoo die Genitalien, die Pfoten und den Bauch sauber. Mit der Zeit passte das
    Pelzgesicht sich so hervorragend an, dass er mit dem Kotabsatz bis zum Waschen wartete. Dann
    reichte schon das Geräusch des laufenden Wassers, hin und wieder eine kurze Stimulation des
    Afters, um den Kotabsatz auszulösen. Anschließend wurde Emilio nach dem Waschen auf ein
    trockenes Handtuch abgelegt und eingemummelt. Dann folgte im Wohnzimmer (dort war es einfach
    wärmer) der vermeintlich schwierige Teil.


    Das Föhnen. Ich war mir absolut nicht sicher, ob er das ungewohnte Geräusch und die warme Luft
    tolerieren würde. Aber was blieb uns anderes übrig, Alternativen gab es nicht! Ihn einfach trocknen
    zu lassen, wäre völlig unverantwortlich gewesen.
    Also setzte ich mich mit Emilio auf den Beinen auf den Wohnzimmerboden. Föhn, Bürste und
    vorbereitete Windel lagen neben mir. Seitwärts lag er auf meinen ausgestreckten Beinen. Ich
    schaltete den Föhn auf niedrigster Stufe ein. Das hohe Rauschen des Föhns ließ Emilio sich zuerst
    etwas sträuben. Aber sein Vertrauen war größer und offensichtlich empfand er die warme Luft als
    sehr angenehm, denn er entspannte sich zusehends. Mit der weichen Bürste fing ich an, das Fell an
    den Oberschenkeln zu bearbeiten. Die Reflexpunkte der Knie bürstete ich unter leichtem Druck und
    stellte erfreut fest, dass die Reflexe ausgelöst wurden. Zwar leicht, aber vorhanden. Dann folgten
    Bürstenstriche entlang des Rückens bis zur Schwanzwurzel. Erst mit dem Strich, dann entgegen des
    Striches und wieder mit dem Strich. Die Fußsohlen stimulierte ich ebenfalls mit der Bürste. Dann
    wurde die andere Seite entsprechend der ersten behandelt. Zum Schluss wurde der Schwanz
    getrocknet, aber unter Anwendung eines Kammes.
    Jetzt fragen Ihr Euch sicher: „Warum mit dem Kamm?“ Leider hatte Emilio aufgrund des Unfalles
    auch kein Gefühl mehr im Schwanz und konnte selbigen auch nicht mehr heben, daher wurde der
    Schwanz noch zusätzlich behandelt.


    Mal sehen, wie Emilio mit der Windel zurechtkommt...
    Es war ja wieder eine ganz andere Situation, er wurde auf meinen Beinen gewickelt, und das nach
    einer anstrengenden Prozedur. Da er ja bereits auf einer Seite lag, führte ich zuerst den Schwanz
    durch das vorbereitete Loch in der Windel (Klebeflächen enden auf dem Rücken).
    Die Seite ohne Klebefläche legte ich auf seinen Rücken, den verbleibenden Teil der Windel zog ich
    durch die Hinterläufe über den Bauch meines Katers und konnte so die Klebeleiste leicht um das
    Oberschenkelgelenk legen und am Rücken festkleben. Emilio legte ich dann auf die andere Seite,
    zog dort ebenfalls die Klebeleiste um das Gelenk (hier hat sich ein Einschneiden der Bündchen
    bewährt) und befestigte sie ebenfalls auf den Aufnahmestreifen am Rücken. Voilà, nach einer
    Stunde waren wir dann so weit, dass Emilio wieder auf seinem Bettchen Platz nehmen konnte.



    Das Rudel und Vertrauen
    Das Rudel zeigte im Laufe der Woche immer mehr Interesse. Je wacher und aufmerksamer Emilio
    wurde, umso näher kamen die anderen Pelzgesichter.
    Fox, unser halbjähriger Kater, war der erste des Rudels, der sich zu Emilio legte. Nur zum
    Schmusen natürlich, das Spezialfutter von Emilio war natürlich nie der Anlass für die erste
    Kontaktaufnahme.


    Fox sitzt jetzt neben mir und bestätigt das noch einmal mit einem eindeutigen „Nein“.
    Zum Ende der Woche hatte ich ein Erlebnis, das ich nicht mehr so schnell vergessen werde. Dieser
    alte Emilio-Schlumpf…….Ich fühlte mich morgens irgendwie beobachtet, öffnete meine Augen und
    wer stierte mich, auf der Seite sitzend, an?


    [Blockierte Grafik: http://img27.imageshack.us/img27/1933/emiliohoffentlichaufdem.gif]



    Emilio!
    Ich habe noch einmal die Augen zugemacht, weil ich dachte: „Mensch, Du träumst!“, öffnete sie
    wieder und Emilio stierte mich immer noch an, von oben herab so richtig stolz. Da konnte ich
    meine Tränen nicht zurückhalten, Freudentränen diesmal, denn er belastete sein linkes Vorderbein
    vollständig.
    Er saß seitlich auf seinem Po, die Hinterläufe am Körper ausgestreckt. So schnell hatte ich meine
    Kamera noch nie in der Hand, diesen so einmaligen Augenblick habe ich fotografiert.


    Die Wende
    Das war es....
    Katerchen wurde immer agiler. Rutschen und Schleppen sollten in den nächsten Wochen unseren
    Alltag begleiten.
    Der nächste Untersuchungstermin bei Frau Dr. Kinzel und Dr. Neumann stand an. Auf diesen
    Termin freute ich mich. Ich war so gespannt, wie sie wohl reagieren würden.
    Bei den Ärztinnen angelangt, wurde Emilio erst einmal geknuddelt. Noch im Korb, der eine
    abnehmbare Haube besitzt, wurde er körperlich untersucht, die Windel wurde abgenommen. Frau
    Dr. Neumann stellte erfreut fest, dass Emilio ja schon fast wieder wie eine richtige Katze aussehen
    würde und nicht wie das erbarmungswürdige Geschöpf bei der zweiten Untersuchung. …..Er roch
    auch viel besser...........
    Dann kam der große Moment, die Ärztinnen waren erfreut.
    Emilio zeigte auch dort seinen Fortschritt, er belastete das linke Vorderpfötchen. Hätte man nicht
    gewusst, dass dieser Vorderlauf eigentlich gelähmt war, würde man es nicht sehen. Dr. Neumann
    stellte erleichtert fest: „So, jetzt haben wir den Punkt, an dem Emilio auch ohne Einsatz beider
    Hinterläufe ein lebenswertes Leben hat, super!“.
    Besonders erstaunt waren beide Ärztinnen, dass Emilio diesen lebenswichtigen Fortschritt schon
    nach so kurzer Zeit geschafft hatte. Nun konnten wir die Physiotherapie aufstocken und verändern.
    Durch Zug und Gegenzug (Hilfe beim Aufstehen, er geht vorwärts und wird mit ein wenig
    Gegenzug zurückgehalten) sollte die Muskulatur aufgebaut werden, da er die Vorderläufe und
    seinen Oberkörper zukünftig vermehrt belasten musste.
    Mit einem neuen Termin verließen wir die Praxis und machten uns auf den Heimweg. Emilio sollte
    uns in den nächsten Wochen noch zeigen, wozu er imstande ist.



    Fortschritte
    Der nächste Morgen wurde für meine Kater anders gestaltet.
    Da er nun beide Vorderläufe bewegen konnte, legte ich ihn nach der morgendlichen Versorgung auf
    dem Wohnzimmerboden ab. Ich hatte eine gemütliche Ecke vorbereitet, die durch keine Barrieren
    gesichert war, er sollte am normalen Leben teilhaben. Bei dem ersten unerwarteten Geräusch
    schleppte Emilio sich , so schnell er konnte, unter das Sofa. Die ungewohnte Situation überforderte
    ihn, ich denke, er hatte sofort den Unfall im Kopf. Da musste eine gehörige Portion Geduld her, und
    damit konnte ich ja dienen, auch das würden wir schon in den Griff bekommen. Auf keinen Fall
    wollte ich Zwang anwenden, um ihn unter dem Sofa hervorzuholen. Er sollte selber entscheiden
    können, wann er die schützende Umgebung wieder verlassen würde.
    Mittags stellte ich sein Futter in die Nähe des Sofas, da ich genau weiß, wie verfressen die Pelznase
    ist. Ich musste gar nicht lange warten, und er streckte seinen Riesenpelzkopf unter der Sofakante
    raus. „Na, trauen wir uns doch noch? Nun komm, mein Junge, hier passiert dir doch nichts!“.
    Emilio schälte sich unter dem Sofa heraus und schaute mich schuldbewusst an. Er hatte unterwegs
    seine Windel verloren und unter dem Sofa auf den Boden gepieschert. „Ist doch alles nicht so
    schlimm, kann doch passieren...“ murmelte ich ihm leise zu, während ich ihn streichelte. Er
    antwortete mit einem leisen Gurren und schob seine Nase zum Teller. Er brauchte halt nur ein wenig
    Zeit, um auch der Umgebung auf dem Boden sein Vertrauen schenken zu können.
    Nach ein paar Tagen war es dann so weit. Emilio rutschte auf seinem Po völlig ungeniert durch die
    ganze Wohnung. Ich könnte darauf schwören, dass die anderen Fellnasen gelacht haben, sie waren
    total fasziniert. Ein Wesen, das wie eine Katze aussieht, das auch so riecht wie eine Katze, aber
    noch einen Zusatz am Po trägt und dazu nicht laufen kann.
    Emilio konnte selbstständig in die Küche rutschen und nahm an den gemeinsamen Mahlzeiten teil.
    Eigentlich durfte ich mich nicht amüsieren, aber mein Rutschekater sah so genial aus. Richtig
    herrschaftlich, mit erhobenem Haupt schleifte er seinen Po hinter sich her. Die Treppenstufe zur
    Küche wurde ebenfalls im Rutschen genommen. Die Geschwindigkeit, die er mit der Zeit
    entwickelte war atemberaubend.
    Könnte ich mir eigentlich vorstellen, dass das in Zukunft immer so aussieht? Windel und Schleifen?
    Was wäre denn jetzt, wenn die Lähmung der Hinterläufe bestehen bleibt?
    Eine schwierige Frage, aber innerlich hatte ich mich damit schon abgefunden, denn Emilio strahlte
    Lebensfreunde - und Würde aus. Er würde mit der Windel gut leben können.
    Die Zweibeiner auch? Wo doch in der heutigen Zeit alles perfekt sein muß.
    Das Pelzgesicht machte sich darum überhaupt keine Gedanken. Mit seiner Windel am Po war er
    zeitweise schneller als seine vierbeinigen Freunde. Sein Oberkörper wurde zusehends muskulöser,
    und ich begann langsam damit, ihn häufiger auf seine Hinterläufe zu stellen. Gerade die Mahlzeiten
    boten sich dafür an, da er so stark auf das Futter konzentriert war. Er bekam überhaupt nicht mit,
    was ich mit seinen Hinterläufen anstellte. Zu Beginn konnte er sich nicht halten und fiel schnell auf
    seinen Po zurück. Kurze Zeit später war er jedoch in der Lage, sein Becken einige Sekunden
    hochzuhalten. Aus Sekunden wurden Minuten und aus Minuten - Selbständigkeit!
    Der natürliche Bewegungsablauf beim Gehen war Emilio fremd geworden, zumal der hintere
    Bereich eine ganze Zeitlang für ihn nicht spürbar war.
    Damit er sich wieder erinnerte, nahm ich ein Handtuch zur Hilfe. Ich legte es ihm quer unter den
    Bauch, so dass beide Enden links und rechts herausragten. Dann nahm ich beide Enden hoch und
    hob Emilio somit in die Luft. Die Hinterläufe hatten jetzt keine Last zu tragen und konnten
    theoretisch bewegt werden. Emilio verstand nicht, was ich von ihm erwartete. Also legte ich das
    Handtuch wieder ab und umfasste mit beiden Händen sein Becken, hob ihn auf und übte leichten
    Druck nach vorne aus.


    Jetzt! Er hatte es begriffen!


    Unbeholfen und schwerfällig stakste er nach vorne. Ein paar Meter nur, und er war erschöpft. Aber
    das Erfolgserlebnis zählte! Ich konnte sicher sein, dass er nun geistig umsetzen konnte, was ich mit
    dem Handtuch eigentlich von ihm erwartete. Er machte aktiv mit und seinem Gesicht war
    anzusehen, dass es ein komisches Erlebnis für ihn war, seine Pfoten auf dem kalten Boden zu
    spüren. Er zog eine richtige Grimasse.


    Die Beckenentlastung durch das Handtuch erleichterte das Üben des natürlichen
    Bewegungsablaufes und Emilio belohnte mich, indem er, nach einigem Üben, die Hinterläufe
    selbstständig nach vorne bewegte. Einen besonderen Moment habe ich auf Video festgehalten.
    Emilio saß an seinem Napf, hob das Becken ganz alleine an und konnte diese Haltung einige
    Minuten beibehalten.


    [Blockierte Grafik: http://img43.imageshack.us/img43/9773/emiliomini2.jpg]


    Dieser Kater war und ist unglaublich. Wie viel Lebenswillen und welche Stärke ist nötig, um diese
    Unfallfolgen zu überwinden! In den folgenden Tagen zeigte mein Kater seine wirkliche Stärke. Er
    überwand die Schmerzen und setzte immer häufiger ganz bewusst seine Hinterläufe ein. Das
    Gangbild war sehr unsicher, aber gegenüber der vorherigen Prognose war das ein unglaublich
    schöner Anblick. Wenn ihn die Kräfte verließen, knickten die Läufe wieder ein, die Anstrengung
    stand ihm ins Gesicht geschrieben. Aber Emilio war tapfer. Er wurde mobiler und baute seine
    Kondition auf.


    Mir stellte sich jetzt die Frage, ob der richtige Zeitpunkt gekommen war, die Windel zu entfernen.
    Mein Kater hat mir vertraut, und nun war ich an der Reihe, ihm zu vertrauen.
    Zwei Katzentoiletten fanden ihren Platz im Wohnzimmer, eine in der Nähe seines Schlafplatzes und
    eine am Katzenkratzbaum. Die Toiletten hatten wir mit einer Art Rampe umbaut, damit Emilio
    leichter Zugang finden konnte.
    Es war fast wie bei einem Kleinkind in der Übergangsphase von der Benutzung der Windel zur
    Benutzung der Toilette. Tagsüber bewegte sich Emilio ohne Windel durch die Wohnung, nachts
    wurde er gewickelt. Malheure passierten hin und wieder, aber er zeigte uns täglich, dass er
    Fortschritte machte. Die Pfützen wurden weniger! Als schwieriger stellte sich der Kotabsatz heraus.
    Emilio konnte seit dem Unfall seinen Schwanz nicht heben und hatte entsprechende
    Verunreinigungen in seinem Fell, die sich jedoch im Rahmen hielten und auch schnell beseitigt
    waren.


    Eines Abends zeigte mir meine tapfere kleine Fellnase, dass er der Ansicht war, über Nacht keine
    Windel mehr zu benötigen. Morgens stellte ich fest, dass er sich die Windel über Nacht einfach mal
    so ausgezogen hatte. Ist er nicht klug? Im Gegensatz zu mir..
    Zweibeiner sind aber auch manchmal begriffsstutzig... Na, ja! Ich dachte nur: „Okay, was kann
    schon großartig passieren? Versuchen wir es einfach, und wenn es nicht klappt, braucht er halt noch
    ein wenig Zeit.“.
    Seit diesem Abend trägt mein geliebtes Pelzgesicht keine Windel mehr. Manchmal muss man
    seinen Vierbeinern vertrauen: „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!“
    Emilio war wieder fester, eigenständiger Bestandteil des Rudels. Das Rudel ist noch ein Thema für
    sich: Sein Rudel besteht aus sieben Gefährten. Auffallend war, dass sie ihm Ruhe gönnten, wo Ruhe
    angebracht war und ihn zum Spielen animierten, wenn er drohte, depressiv zu werden. Ist schon
    jemand auf den Gedanken gekommen, dass Tiere sich untereinander verständigen und genau
    wissen, intuitiv, was ein Rudelmitglied braucht?


    Unsere Übermutter der Kompanie, Abby, fühlte sich in der Verantwortung, sobald Emilio keine
    Windel mehr trug. So, als wolle sie sagen: „Du siehst jetzt wieder aus wie eine richtige Katze, jetzt
    versorge ich dich auch!“ Von da an trug sie Lebendfutter für Emilio und den Rest des Rudels ins
    Haus. Bei der ersten Maus, die Abby vor Emilio fallen ließ, schaute er mich fast schon verlegen an:
    „Wie soll ich denn? Meine Zähne sind doch zerstört!“.
    Ich darf verraten, dass die Maus überlebt hat, völlig durchnässt, aber am Leben. Durch die
    Zersplitterung seiner Zähne kann Emilio seinem Beutetrieb nicht mehr so recht nachkommen.
    Ertränken kann er die Tierchen allemal mit seinem Speichel, aber richtig Beißen geht eben nicht
    mehr.
    Übermutter Abby war es auch, die ihn über die Katzenklappe nach draußen lockte. Als Emilio mich
    von außen darauf aufmerksam machte, wo er sich befand, war ich sehr aufgeregt und unsicher, wie
    ich mich verhalten sollte. Aber was sollte passieren? Emilio konnte nicht springen, und der Garten
    war eingezäunt. Meine Fellnase machte sich weniger Gedanken darum, er nahm sein Leben trotz
    seiner Einschränkungen auf. So sollte das auch sein. Er genoss jeden Tag und seine Freunde
    unterstützten ihn, durch ihre Anwesenheit.



    [Blockierte Grafik: http://img163.imageshack.us/img163/6654/emiliomini.jpg]



    Aus Emilio`s Sicht
    Der Garten sieht so toll aus und riecht so gut. Ich bin richtig glücklich.
    Meine hinteren Beine sind noch ein wenig steif, aber das stört mich nicht.
    Von meinen Gefährten habe ich gehört, dass in unserer Umgebung keine Katze lebt, die so
    komische, weiße Dinger am Po hatten. Auch hatte keiner aus der Katzengemeinde so häufig
    Kontakt mit den weißgekleideten Zweibeinern, die Einen manchmal pieksen und andere
    merkwürdige Sachen machen.
    Aber, ich habe mich danach immer besser gefühlt, also können sie doch gar nicht so schlecht sein.
    Fremde Zweibeiner mag ich überhaupt nicht mehr, das war früher anders.
    Da habe ich mir immer Streicheleinheiten und manchmal auch ein Leckerchen abgeholt. Das mache
    ich nicht mehr, denn ich habe große Angst. Diese großen Knatterdinger machen mir noch mehr
    Angst und deshalb verstecke ich mich immer.
    Was ich richtig toll finde, meine Katzeneltern habe ich so richtig gut erzogen. Jaaaaaa, immer, dann
    wann ich mag, bekomme ich meine Schmusis. Wenn ich mich einsam fühle maunze ich in einem
    ganz besonderen Ton, dann kommt sofort ein Zweibeiner angerannt und nimmt sich meiner an. Ich
    habe ein tolles Leben und bin unendlich dankbar, das zeige ich meinen Lieben auch immer.
    In meinem Rudel sieht das anders aus.
    Die beiden Jungspunde haben nach der Kastration gedacht, dass ich zu schwach sei, meine
    Rangfolge bei zu behalten. Denen habe ich es gezeigt.
    Ich habe zwar eine dolle Schramme am Kinn, aber ich bin immer noch stark, hinten wackelig wie
    eine Ente, aber vorne, vorne bin ich ein Tiger.
    Das emotional belastende Jahr 2011 hatten wir hinter uns gelassen.
    Für das neue Jahr hatten wir uns umsetzbare Ziele gesteckt, die nach den Erfahrungen und Erfolgen
    im vergangenen Jahr sicher erreicht werden könnten. Jetzt hieß es, beide Ärztinnen der
    Spezialklinik in Erstaunen zu versetzen. Von Emilios enormer Entwicklung hatten sie ja nur
    ansatzweise gehört. In meinen Mails habe ich die gefilmten Fortschritte übermittelt, jetzt sollten sie,
    sie selber begutachten...
    Mit einem windellosen Emilio ging es in die Klinik. Es war wieder ein Termin mit beiden Ärztinnen
    vereinbart. Als Dr. Kinzel den Behandlungsraum betrat, konnte ich die Neuigkeit nicht für mich
    behalten: „Wissen Sie was? Emilio kann selbständig laufen und kommt ohne Windel sehr gut
    zurecht.“


    Dr. Kinzel freute sich, schon fast ungläubig. So eine enorme gesundheitliche Veränderung innerhalb
    dieser kurzen Zeitspanne! Das ist schon sehr ungewöhnlich!
    Ich bat um die Erlaubnis, diese Untersuchung filmen zu dürfen, meine Kamera legte ich bereit. Dr.
    Neumann betrat den Behandlungsraum. Emilio durfte zeigen, was für ein kleines (oder doch eher
    großes!) Wunder er vollbracht hatte. Beide Ärztinnen waren begeistert. Sie testeten die
    Schmerzreflexe, die zügig ausgelöst werden konnten. Die Nerven waren vollständig regeneriert.
    Den linken Vorderlauf nahmen sie besonders ins Visier, da dieser den Eindruck vermittelte, nie
    verletzt gewesen zu sein.


    Von einer Lähmung überhaupt keine Spur mehr.


    Emilio konnte sich sogar mit beiden Vorderläufen an der Kante des Behandlungstisches
    hochziehen. Die Hinterläufe waren noch ein wenig beeinträchtigt, was ihn nicht daran hinderte,
    durch die Praxis zu humpeln.
    Das macht einfach nur sprachlos.
    Ein gelähmter Kater, der nach einem äußerst schweren Autounfall (überfahren worden, nicht nur
    angefahren!) innerhalb von nur 3 Monaten das Gehen wieder erlernt. Was bleibt, ist der Bruch des
    Brustwirbels, mein Pelzgesicht scheint das nicht zu stören, er hat sich mit seinem neuen Gangbild
    arrangiert.


    Dr. Kinzel wagte die Prognose, dass Emilio in einigen Wochen vollständig genesen ist. Anfang
    Februar bekam Emilio eine Anabolikainjektion, da der Muskelaufbau im hinteren Bereich
    stagnierte.
    Eine weitere Anabolikagabe wird folgen.



    Gestern, Heute, Morgen
    Heute benimmt Emilio sich fast so, als sei gar nichts passiert. Er geht regelmäßig in den Garten und
    verrichtet dort auch sein Geschäft.
    Hat Emilios Verhalten sich verändert?
    Eindeutig ja. Er ist sehr, sehr anhänglich und sucht ständig den Körperkontakt. Mittlerweile bettelt
    er bei Tisch wie ein Hund, weil er weiß, dass ich immer ein Leckerchen zur Hand habe.
    Fremden gegenüber ist er nicht mehr so aufgeschlossen wie früher, bei unerwarteten Geräuschen
    reagiert er mit einem Fluchtreflex. Emilio braucht Zeit. Die körperlichen Verletzungen sind fast
    verheilt, die seelischen brauchen Zeit.
    An Geduld hat es uns nie gefehlt, den Rest des Weges werden wir gemeinsam mit Emilio meistern.


    [Blockierte Grafik: http://img441.imageshack.us/img441/6966/img0022ze.jpg]



    In Memoriam:
    Meine Mutter 12.07.2001
    Mein Vater 06.07.2011
    Kira, meine 13 jährige Hündin, 05.11.2011
    Nachtrag
    Die zweite Anabolikagabe ist erfolgt.
    Der Muskelaufbau erfolgt ganz langsam aber erkennbar. Die Muskulatur im Brustbereich ist enorm
    stark. Es habe sich richtige Pakete gebildet. Hinten sieht er immer noch aus, wie eine kleine Ente.
    Wenn er sich verausgabt, sieht man das sofort, dann humpelt er enorm.
    Am 14.05.2012 erfolgte die Zahnsanierung. Wir haben sie möglichst weit nach hinten geschoben,
    weil eine Narkose die Regeneration der Nerven behindert hätte.
    Im Mai ging es nicht mehr anders. Entzündungen zwangen uns zur Handlung. Ein Reißzahn wurde
    gezogen, einer gefüllt, damit das Kinn keine Fehlstellung einnimmt. Die restlichen Zähne wurden
    abgeschliffen, da sie alle von dem Unfall betroffen waren.
    Nach der Narkose bekam ich einen gewaltigen Schrecken. Emilio brauchte schon lange, bis er
    wieder wach war. Dann der Moment, ich hatte erwartet, dass er aufsteht, wacklig zwar, aber auf vier
    Beinen. Das funktionierte nicht. Er bekam die Hinterläufe nicht aufgerichtet und robbte auf dem Po
    vorwärts. Tränen stiegen mir in die Augen. Das durfte doch nicht sein, nicht so, nicht nach einer
    solch lapidaren Operation. Meine Verzweiflung war spürbar. Emilio ließ sich nicht beeindrucken
    und setzte zwei Stunden später seine Hinterläufe wieder aktiv ein.


    Emilio hat es überstanden. Es waren emotionale Höhen und Tiefen, die wir durchliefen. Meine
    Intention zum Schreiben ist das unbändige Bedürfnis etwas bewegen zu können. Wenn Emilios
    Geschichte nur einen Tierliebhaber dazu bewegt, eine finale Entscheidung zu überdenken, dann
    haben wir unser Ziel erreicht. Vielleicht dient die Geschichte ja auch als Beweis der Alternativen
    und Möglichkeiten, die man als Mensch hat.
    Kurzanleitung für das Windeln
    1. Windel entsprechend des Gewichtes der Katze kaufen
    2. Die Bündchen sollten an den Stellen, die um die Gelenke führen, eingeschnitten werden,
    damit die Katze sich nicht wund scheuert.
    3. Die Klebestreifen gehören auf den Rücken.
    4. Ein sternförmiger Einschnitt dient zur Durchführung des Schwanzes (etwa zwei Finger breit
    über der Knickfalte und im Durchmesser etwa von der Größe eines 2€-Stücks).
    Zubehör für die inkontinente Katze
     Windeln
     Einmal-/Wickelauflagen
     Waschbare Inkontinenzauflagen (mind. 2), erhältlich im Sanitätsfachhandel
     Katzenshampoo
     Föhn
     große Handtücher
     weiche Bürste
     Kamm
     Schere
    Anleitung für das Windeln
    Zunächst möchte ich Euch meinen Respekt zum Ausdruck bringen. Menschen, die einer
    inkontinenten und/oder gelähmten Katze die Chance auf ein Weiterleben gewähren, sind besondere
    Menschen, die ihr Tier über alles lieben und sich dieser ungewöhnlichen Situation stellen. Das ist
    nicht selbstverständlich, denn es kostet Mühe und Zeit, bis sich Tier und Mensch in dieser
    ungewöhnlichen Phase eingespielt haben. Ihr übernehmt eine große Verantwortung. Die
    Herausforderung ist enorm aber zu bewältigen. Eure Katze wird es Euch mit Hingabe danken.
    Welche Windel kaufe ich
    Das Gewicht der Katze ist ein guter Indikator für den Kauf der Windel. Emilio hatte nach seinem
    Unfall stark an Gewicht verloren, so dass ich zunächst auf New Born Baby (Größe1/ 2-5kg) von
    einer bekannten Windelfirma zurückgegriffen habe. Günstigere Alternativen habe ich auch probiert,
    muss jedoch aus Erfahrung berichten, dass sie sich nicht bewährt haben (Ausflocken, zu geringe
    Flüssigkeitsaufnahme, zu breite Bündchen, die ein Wundscheuern fördern). Als Emilio wieder bei
    knapp 5 kg angelangt war, habe ich mich für Aktive (Größe3/ 4-9kg), alternativ Baby dry (Größe2/
    3-6kg) entschieden.
    Welche Auflagen zum Schutz gegen das Durchnässen benötige ich?
    Als Unterlage für Handtücher/Decken habe ich waschbare Inkontinenzauflagen aus dem
    Sanitätsfachhandel benutzt. Es sollten (für den Wechsel) mindestens zwei Stück vorhanden sein. Sie
    sind bei 95 Grad waschbar.
    Als Auflage für die Decken oder für den Transport sind Einmal-/Wickelauflagen bestens geeignet,
    da sie sich auch unterwegs problemlos und schnell beseitigen lassen, ohne einen begleitenden Duft
    im Fahrzeug zu hinterlassen.
    Sollte die Katze wirklich gewaschen werden?
    Das Waschen ist leider, oder in Emilios Fall Gott sei Dank, unentbehrlich. Kot (besonders im langen
    Fell) lässt sich mit einem Waschlappen nur schwer entfernen und die Katzen reagieren leicht
    genervt auf das ständige Zupfen.
    Beim Waschen mit lauwarmen Wasser lösen sich Rückstände leichter, und das verwendete
    Pflegeprodukt wird restlos ausgespült. Emilio hat sich im Laufe der Therapie sehr gut angepasst.
    Sobald er auf der Spüle lag und ich zum Waschen ansetzte, reichte die leichte Stimulation des Afters
    aus, um das Abkoten in Gang zu setzen. Das hat natürlich auch den Vorteil, dass die Katzen wieder
    lernen, ihre Muskeln (Blase, Darm) zu nutzen.
    Wie sieht das mit der Trocknung aus?
    Bei Emilio hat sich das Trocknen mit dem Föhn bewährt. Nach dem Waschen habe ich mich mit
    Emilio in eine ruhige Ecke im Wohnzimmer auf den Boden gesetzt, die Windeln lagen griffbereit
    neben mir auf dem Boden, ebenso der Föhn und verschiedene Bürsten. Zunächst habe ich das Gerät
    nur auf minimaler Stufe, mit minimaler Hitze betrieben. Beim Trocknen habe ich zeitgleich
    gekämmt und dabei auch die Physiotherapie durchgeführt. Durch die Wärme haben sich Emilio und
    seine Muskeln entspannt und nach einer Gewöhnungsphase hat er das Trocknen regelrecht
    genossen.


    [Blockierte Grafik: http://img339.imageshack.us/img339/4301/miniimg3297.jpg]


    LG
    Eliza


    PS Die Genesung von Emilio habe ich auch per Video dokumentiert, zu sehen bei Youtube unter ginger1967

  • Margit - was für eine Geschichte - so traurig und trotzdem so schön. ich werd bestimmt noch öfter lesen, ich hab das alles noch gar nicht auf einmal erfasst. aber ne Frage: Hast du rausgefunden, wer ihn gefunden hat? da fängt ja das Glück für den kleinen ja schon an. einfach nur klasse, wie ihr euch für ihn ins Zeug gelegt habt. :super:

    Liebe Grüße von Petra, Moritz, Lucy und Sunny
    <3 und Mäxi und Lilli immer im Herzen <3

  • Liebe Eliza,
    du hast eine schöne Art zu schreiben. Das Geschehne hat mich sehr berührt. Gleich habe ich nach den videos bei youtube gesucht und dich auch unter ginger111967 gefunden. für die anderen, ist hier das wohl erste video von emilio: Emilio, darf ich leben?


    Er ist wirklich ein sehr charmanter Kerl!
    Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte. Ganz ehrlich. Du hast ein unglaubliches Gespür dich in deine Tiere einzufühlen. Die Zeit, die Geduld von dir und Deiner Familie ist unbeschreiblich und für Emilio ganz bestimmt ein Geschenk.

    Einmal editiert, zuletzt von Wonnie ()

  • Meine Güte ... was für eine Geschichte :schnueff: Es tut mir in der Seele weh und ich
    kann meine Tränen gar nicht mehr aufhalten :schnueff:


    Was dieser kleine Kämpfer alles geschafft hat :herzklopfen: :schnueff:


    Hut ab auch vor euch und eurem Mut! :schnueff: :herzklopfen:


    Danke, dass ihr uns das hier mitlerleben lasst :freunde:


    Für Emilio drücke ich weiterhin die Daumen :daumendrück: So ein Schatz! :herzklopfen:


    Halte uns doch bitte weiter auf dem Laufenden :freunde: :schnueff: :herzklopfen:

  • Was für eine Geschichte - ich habe von Anfang an auf ein Happy-End gehofft, aber nicht auf so ein glückliches zu hoffen gewagt und mich sehr gefreut, dass es Emilio wieder so gut geht.
    Hut ab für euch, dass ihr diese Entscheidung getroffen und mit allen Konsequenzen umgesetzt habt.
    Liebe Grüße
    Chris

    • Offizieller Beitrag

    Oh man, was für eine Geschichte :geheule:
    Ich hatte zwischendurch Tränen in den Augen und musste mehrfach tief durchatmen. :schnueff:


    Wahnsinn, dass Ihr den schweren Weg mit einem solchen Happy End gemeistert habt. Und toll, dass es auch Tierärzte gibt, die wirklich mit Herzblut und sehr viel persönlichem Einsatz (u. a. in der Freizeit nach Feierabend) unterstützen und nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. :hach:


    Ich war am Ende des Berichts richtig glücklich, dass es Emilio wieder so gut geht. :herzklopfen:


    Und der Frage nach der Finderin schliesse ich mich an, gab es da evtl. noch mal Kontakt?


  • Nein, leider nicht. In der erstversorgenden Tierarztpraxis hat sich erst einmal alles sofort um Emilio gedreht und die Finderin ist leider nicht geblieben. Sie war den Arzthelferinnen nicht bekannt und meine Recherchen blieben erfolglos. Ohne sie, hätte Emilio nicht überlebt..

  • Diagnosen der Tierärzte


    Fallbericht


    Am 25.11.2011 wurde der zwei Jahre alte männlich-­‐kastrierte Main-­‐Coon-­‐Kater „Emilio“ in Brustbauchlage in unserer Praxis vorgestellt. Bei der Untersuchung zeigte er ein mittel-­‐bis hochgradig herabgesetztes Allgemeinbefinden. Die Atmung war unauffällig .Bei Auskulatation des Herzens zeigte sich eine leichte Tachykardie. Die kapilläre Rückfüllungszeit lag bei unter zwei Sekunden. Die Stärke des Femoralispulses war gering-­‐bis mittelgradig herabgesetzt. Die Maulschleimhaut war rosa-­‐rot ,feucht ,glatt und glänzend. An den Vordergliedmaßen befanden sich multiple Hautabschürfungen. Besorgniserregend waren die neurologischen Befunde. Eine starke Hinterhandparese mit geringradig herabgesetzter Tiefensensibilität. Die linke Vordergliedmaße zeigte eine Fehlstellung (ähnlicheinerRadialislähmung)mit stark . Durch Schmerzreize am kaudalen Schwanzende zeigte Emilio keine Reaktion .Der Analreflex war unauffällig. Die Harnblase war stark gefüllt, jedoch es konnte durch leichten
    Druck Harn gewonnen werden.Im Urinstix zeigte sich eine Hämaturi (die restlichen Parameter waren unauffällig). Da von einem starken Trauma auszugehen war, wurde sofort eine Röntgenübersichtsaufnahme angefertigt. Röntgenologischer Befund:Lunge unauffällig /Herzschatten: schmal/keine sichtbare freie Flüssigkeit im Abdomen oder Thorax/ keineZwerchfellruptur/ im Bereich der Wirbelsäule keine Auffälligkeiten. Direkt nach der Röntgenaufnahme bekam „Emilo“ wegen seiner starken Hypothermie von 36,5°C eine angewärmte Dauertropfinfusion über einen Venenkatheter. Zusätzlich wurde er auf einem Wärmekissen gelagert und mit Antibiotika,Schmerzmittel und Vit-­‐B-­‐Komplex durch subkutane Injektionen versorgt. Nach Stabilisierung des Allgemeinbefindens wurde „Emilio“ zum neurologischen
    Konzil in die Praxis von Frau Dr.Kinzel/Aachen überwiesen,da in dieser Praxis alle notwendigen diagnostischen Hilfsmittel und fachliche Kompetenz vorhanden sind.


    Gerade bei Nervenschädigungen ist eine schnelle Hilfe für die Prognose sehr wichtig.Da Nerven eine gewisse Zeit zur möglichen Regeneration benötigen brauchen Tier und Besitzer oft sehr viel Geduld.


    Jedes Tier reagiert auf extreme Ausnahmesituationen anders ,aus diesem Grund sollte man in Zusammenarbeit mit dem Besitzer herausfinden, was für das betroffene Tier der richtige Weg ist!



    Mit freundlichen Grüßen
    A. H.
    (Tierarztpraxis Dr. H.)

  • Diagnose der Spezialisting in Aachen


    Emilio wurde uns erstmalig am 25.11.2011 nach einem Unfall vorgestellt. Er befand sich in Seitenlage, beide Pupillen waren weit und lichtunempfindlich. Es bestand eine Paralyse der linken Vordergliedmaße und beider Hintergliedmaßen. Die Schleimhäute waren blaß, die Atmung beschleunigt und das Herz tachykard.


    Die Untersuchungsbefunde von Emilio ergaben ein schweres Schädel-Hirn Trauma. Die Folge siind Ischämie und Ödembildung sowie ein erhöhter intrakranieller Druck mit den entsprechenden Ausfällen der betroffenen Hirnregionen.


    Patienten mit Kopftrauma sind Notfälle und sollten so schnell wie möglich therapiert werden. Ob ein Patient das Trauma überlebt und wie gut er sich erholt, hängt von vielen Faktoren ab, zumn Beispiel seinem Alter, dem initialen neurologischen Defizit, sowie dem Blutdruck oder Hirndruck. Trotz exzellenter Notfall- und Intensivmedizin sterben in der Humanmedizin 4 von 10 Patienten an einem SHT, bis zu 3 von 10 bleiben schwer behindert, und weniger als jeder Dritte erholt sich gut.

    Wenn die akute Lebensgefahr gebannt ist, gilt es die Folgeschäden therapeutisch anzugehen. Dies geschieht teilweise medikamentös und teilweise über die Physiotherapie und Rehamaßnahmen.


    Diese Nachfolgetherapie benötigt vor allem die Geduld und Ausdauer des Patientenhalters.


    Nur wer weiß, wie lang die Rekonvaleszenz eines Schädel-Hirn Trauma Patienten in der Humanmedizin ist, der ahnt wie aufwendig die Pflege und Betreuung eines tierischen Patienten ist. Neben Übungen zur Neurorehabilitation, muß das muskuloskelettale System trainiert werden. Der Patient muß ernährt werden. Kot- und Urinabsatz müssen gewährleistet werden. Daneben muß eine strenge Hygiene eingehalten werden um Sekundärinfektionen und Dekubitusstellen zu vermeiden.



    Emilio hatte das Glück, eine geduldige und engagierte Besitzerin zu haben, die diese Maßnahmen nach fachkompetenter Einweisung konsequent durchgeführt hatte.
    Bei der Kontrolluntersuchung am 13.12.2011 zeigten sich erste Anzeichen einer Tiefensensibilität der Hintergliedmaßen während die linke Vordergliedmaße hier noch schwere neurologische Defizite aufwies. Am 19.12.2011 war Emilio vorne stehfähig und führte seine Hintergliedmaßen schon aktiv vor. Am 17.01.2012 zeigte Emilio normale Stellreflexe der Hintergliedmaßen. Am 11.5.2012 zeigte er bis auf eine leichte Ataxie der Hintergliedmaßen ein fast normales Gangbild.


    Mit freundlichen Grüssen



    Priv.-Doz. Dr. med. vet. Sylvia Kinzel

  • Der Behandlungsbericht unserer Haustierärztin



    (753) Emilio Katze, Maine Coon, 01.01.2010, mk
    26.11.2011 Martina SchullenAbemrgbulant nach Verkehrsunfall
    gestern angefahren worden; zunächst Schock u Parese bei erhaltener Tiefensensibilität;
    bei Kinzel durchgerö: Skelett scheint i.O.
    TH: Infusion (RiLac, Dexamethason; Duphamox; Metacam; Dimazon)
    HEUTE: noch stehunfähig, Sensibilität in Hglm besser, vo li ebf.; Überlaufblase (--> man entleert) u Kontrolle heute Abend
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 1,00
    MED Dexamethason 4 mg/ml 1Fl. à 50ml 0,40 ml
    MED Sterofundin ISO 500ml 200,00 ml
    26.11.2011 Martina SchullenAbemrgbulant FU
    noch immer gelähmt (nur re Voglm funktioniert) und Überlaufbalse --> manuell entleert (Urin sehr blutig)
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 0,50
    LEI Harnapparat, Uringewinnung, Blase entleeren, manuell 1,00
    27.11.2011 Martina SchullenAbemrgbulant FU; Blasenkatheter gelegt
    Zustand +/-; Fr. Völtz schafft es nicht Blase zu entleeren --> Katheter gelegt; Ko in 36-48h
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 1,00
    LEI Harnapparat, Uringewinnung, Blasenkatheter, Rüde, Kater und sonstige, männlich 1,00
    MED Duphamox LA 1Fl. à 100ml 0,50 ml
    MED Metacam 1,5mg/ml Suspension zum Eingeben für Hund 1Fl. à 32ml 0,30 ml
    MED Dexamethason 4 mg/ml 1Fl. à 50ml 0,50 ml
    MED Sterofundin ISO 500ml 200,00 ml
    28.11.2011 Martina SchullenAbemrgbulant FU
    Blase läuft schön aus, Abdomen ganz weich frisst gut, allerdings sich verstärkender Nickhautvorfall re
    zieht Hglm. schon mal an und moppert bei s.c. Injektion;
    CAVE noch kein KOTABSATZ, ggf. Abführen (soll erst x Sahne etc. essen/ trinken) und li Handgelenk schmerzhaft,
    je nach Klinik noch x rö.;
    Kontrolle in 2d
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 0,50
    LEI Injektion, Instillation, Infusion, subkutan, intrakutan, intramuskulär, intraingluvial (Ziergeflügel) 1,00
    MED Duphamox LA 1Fl. à 100ml 0,60 ml
    MED Metacam 5 mg Injektionslösung für Hund/Katze 1Fl. à 20ml 0,40 ml
    01.12.2011 Martina SchullenAbemrgbulant FU
    insgesamt besser, aber leichter Infekt obere Atemwege (trotz Duphamox --> ergänzen!); li Nares m Eiter
    hat etw. Kot abgesetzt --> Paraffin rektal u 1 große Wurst (mit Bandwürmern) rausgeholt
    Blase weich u Darm anschl. leer
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 1,00
    MED Duphamox LA 1Fl. à 100ml 0,60 ml
    MED Metacam 5 mg Injektionslösung für Hund/Katze 1Fl. à 20ml 0,40 ml
    MED Sterofundin ISO 500ml 75,00 ml
    MED Paraffinum perliquidum 1Fl. à 1000ml 20,00 ml
    01.12.2011 Martina SchullenAbemrgbulant Nur Medikamente
    MED Convenia 10ml 0,65 ml
    08.12.2011 Martina SchullenAbemrgbulant Röntgen u WK
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 1,00
    LEI Strahlendiagnostik, Aufnahme, je erste und zweite Aufnahme 2,00
    LEI Strahlendiagnostik, Aufnahme, jede weitere Aufnahme 1,00
    MED Praziquasel-Injektion 1Fl. à 10ml 0,60 ml
    MED Dectomax Injektionslösung für Rinder und Schafe 1Fl. à 50ml 0,30 ml
    27.12.2011 Martina SchullenAbemrgbulant Direktverkauf
    MED Korvimin Diar Kautabletten Pckg. 2,00 St.
    GP.Software Eltville
    Firma:Praxis, Von:26.11.2011, Bis:17.07.2012, Welche: Besuche
    Seite : 2
    erstellt am :
    17.07.2012
    29.12.2011 Martina SchullenAbemrgbulant Diarrhoe
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 1,00
    MED Enrofloxacin 5 % WDT Injektionslösung 4,00 ml
    MED Atropinum compositum ad us.vet. 10 x 1 ml 0,5mg / ml 1,00 St.
    MED Frontline Combo Spot on Hund XL 6Appl. 1,00 Appl.
    17.02.2012 Martina SchullenAbemrgbulant Kontrolle
    macht sich sehr gut
    TH: Anabolin, vll in 4 Wochen nochmal
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 1,00
    LEI Injektion, Instillation, Infusion, subkutan, intrakutan, intramuskulär, intraingluvial (Ziergeflügel) 1,00
    MED Anabolin forte Inj- Lsg 0,05 ml
    03.05.2012 Martina SchullenAbemrgbulant Kontrolle
    macht sich sehr gut
    TH: Anabolin, vll in 4 Wochen nochmal
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 1,00
    LEI Injektion, Instillation, Infusion, subkutan, intrakutan, intramuskulär, intraingluvial (Ziergeflügel) 1,00
    MED Anabolin forte Inj- Lsg 0,05 ml
    MED Frontline Combo Spot on Hund XL 6Appl. 1,00 Appl.
    14.05.2012 Martina SchullenAbemrgbulant Zahnsanierung
    C OK li gezogen, da entzündet; re abgebrochen --> beigeschliffen u versucht zu füllen (cave! keine suabere Vitalamputation);
    UK Canini Ecken geglättet
    LEI Folgeuntersuchung im gleichen Behandlungsfall mit Beratung 0,00
    LEI_PKWInjektionsnarkose 0,75
    MED Cepetor KH 10ml 0,48 ml
    MED Ketamin 10 % 1Fl. à 10ml 0,30 ml
    LEI Injektion, Instillation, Infusion, subkutan, intrakutan, intramuskulär, intraingluvial (Ziergeflügel) 1,00
    MED Metacam 5 mg Injektionslösung für Hund/Katze 1Fl. à 20ml 0,40 ml
    MED Duphamox LA 1Fl. à 100ml 0,60 ml
    MED Revertor 5mg/ml 10ml 0,40 ml
    LEI_PKWZahnextraktion, einfach 1,00
    LEI_PKWZahnfüllung 1,00
    MED Metacam 1,5mg/ml Suspension zum Eingeben für Hund 1Fl. à 32ml 1,00 ml



    Mit den behandelnden Ärzten wurde vorab über die Nennung ihrer Namen gesprochen, das Einverständnis wurde erteilt.


    LG
    Eliza

  • Puhhh... :puh: :geheule:
    Ich muss erstmal zu mir kommen...
    Was für eine Geschichte... :schnueff:


    Du hast wirklich sone tolle Art zu schreiben,ich hab das Gefühl ich war dabei...
    Es ist unglaublich wie Emilio und Du Euren Alltag gemeistert habt...
    Wieviel Geduld das gekostet hat...
    Ich heul schon wieder... :schnueff: :schnueff: :schnueff:

  • Ich hab es jetzt auch endlich geschafft, die Geschichte von Emilio ganz zu lesen - es hat einige Taschentücher gebraucht :schnueff:
    Ihr habt meine Hochachtung, toll, was ihr da gemeinsam geleistet habt :super: :freunde:

    Das ist der Weg

  • Ich weiss gar nicht mehr, wo im Web ich Emilios Geschichte zuerst begegnet bin.
    Ich lese ja in vielen Foren [size=4pt]und schreibe in den wenigsten.. [/size] und dieses "Emilio - darf ich leben, ich will doch" hat mich sehr sehr berührt und es war auf jeden Fall vor Dexters Unfall , denn da hatte ich Emilio auf der Fahrt in die Klinik irgendwie im Hinterkopf und es hat mir Mut gegeben. Zum Glück kamen wir ja glimpflich davon und brauchten nur ein wenig Physio und VitB Komplex. :puh:
    Aber jetzt kann ich dir Margit endlich mal Danke sagen, dass du euere Geschichte so fleissig teilst und damit sicher ganz vielen Betroffenen sehr viel Mut machst. :blümchen:

    Dexter, L'amour, Oxy, Luchs, Justy, Lotte, Tanvir, Infinity, Calimero.

    Forever would have been too short.


    • Offizieller Beitrag

    Margit ich habe sehr viel Respekt für eure Entscheidung zu Kämpfen ...du hast geschrieben Wer einen Kampf gar nicht erst antritt, weiß doch gar nicht, ob er ihn möglicherweise gewonnen hätte. Das sind so wahre Worte.


    Ich habe Emilios "Geschichte" nicht in einem gelesen ...Teil eins gestern und Teil zwei gerade ...du hast es so gut geschrieben, Taschentücher waren hierbei mein Begleiter.


    Emilio und du ihr macht Mut :freunde: Danke dafür - eure Geschichte wird mich ein Leben lang begleiten.


    Ich wünsche Emilio das allerbeste :herzklopfen: Dem stozen Kämpfer :knutsch:

  • Was für eine Geschichte :schnueff: Gänsehaut pur :schnueff:
    Was für ein toller Kerl :hach: und was für tolle Dosis :freunde:
    die mit soviel Geduld und Hingabe das fast Unmögliche möglich gemacht haben.


    Ich habe den größten Respekt vor dir Margot und liebe diesen Emilio ein Traumkaterchen :herzklopfen: :herzklopfen:
    für sein Durchhaltevermögen und seine Stärke.
    Ich wünsche euch für die Zukunft nur das Beste. :daumendrück: :daumendrück: :daumendrück:
    Und für diesen tollen Kerl einen Extraknuddler. :troest: :knutsch:

    Engel werden nicht immer mit Flügeln geschickt.

    Liebe Grüße von Jutta, Camillo und Sunny mit Lea im <3.

  • Nun habe ich die Geschichte gelesen und sehr viele Taschentücher verbraucht. :schnueff:


    Emilio und Ihr seid klasse was Ihr alles geschafft habt. :super: :freunde:


    Knuddler an den großen Kämpfer und an Dich Margot. :knuddel:

    Viele Grüße von Marion

    mit

    Kris, Neraki, Delos und Omega

    und

    Gremlin, Charles und Milo im <3

  • Erst eben habe ich von Emilio erfahren und seine Geschichte gelesen. :puh:
    Ich bin fassungslos und die Tränen des Entsetzens und dann Tränen der Freude liefen mir übers Gesicht.
    Was ihr und dieser Kater erlebt und durchgemacht habt, ist eigentlich nicht mit Worten zu beschreiben! Aber dieses Emilio-Tagebuch beweist, daß es doch geht.
    Es halt sich jede Sekunde gelohnt, die ihr zusammen gekämpft habt!
    Euch allen und ganz besonders dem tapferen Kerlchen Emilio gehört mein ganzer Respekt!
    Ich wünsche Emilio und seiner Familie von ganzem Herzen alles Gute und daß ihr noch ganz lange zusammen glücklichsein dürft! :herzchen:

    Es grüssen Gabi, Cäsar, Krümel, Kimba, Patenkatze Ria, RB-Tilli und RB-Hotte im TH Arzberg, Patenkatzen im Gut Aiderbichl und die Streunerchen